Es gibt eine ganze Reihe von Normen, die sich direkt oder mittelbar mit Usability befassen. In den deutschen Normen ist dabei die Rede von Ergonomie oder „Gebrauchstauglichkeit“.
Die Normen sind allgemein gehalten, damit sie über längere Zeit gültig und nicht so stark von technischen Neuerungen abhängig sind. Sie geben nur Anhaltspunkte, worauf zu achten ist – praktische Tipps zur Umsetzung oder Checklisten finden Sie darin nicht. Im Folgenden finden Sie einen knappen Überblick über die wichtigsten Normen, Richtlinien und Verordnungen.
Die meisten Normen sind sowohl auf Anwendungssoftware, Multimedia-Produktionen als auch auf Websites anwendbar, auch wenn einige ursprünglich auf Bürosoftware abgestimmt sind.
Dieser Beitrag basiert auf Kapitel 7 des Buchs „Website-Konzeption – Erfolgreiche Websites planen und umsetzen“ von Jens Jacobsen. Dieses Standardwerk für Web-Entwickler können Sie hier in unserem Partnerbuchshop Informit.de für 39,95 Euro versandkostenfrei bestellen.
Im ersten Teil der Artikelserie zu Usability-Tests haben wir die Grundlagen für die Analyse der Benutzerführung einer Webseite behandelt. Teil zwei ist dann auf den konkreten Ablauf und die Auswertung eines Usability-Tests eingegangen. Mitunter bleiben dabei aber Fragen offen die mit den ergänzenden Maßnahmen aus Teil 3 abgefangen werden können.
Website-Konzeption Teil 1: Grundlagen von Usability-Tests |
Website-Konzeption Teil 2: Usability-Tests durchführen |
Website-Konzeption Teil 3 Ergänzende Maßnahmen |
Website-Konzeption Teil 4: Ergonomie- und Usability-Normen |
Website-Konzeption Teil 5: Praxisbeispiele |
VDI-Richtlinie 5005 – Software-Ergonomie in der Bürokommunikation
Die Richtlinie des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) verlangt folgende Eigenschaften von einer Anwendung:
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Kompetenzförderlichkeit: Das System soll den Benutzer fördern und ihm erlauben, den Umgang mit ihm leicht zu erlernen. Sein erworbenes Wissen soll er auch auf neue Aufgaben, die er mit dem System erledigt, übertragen können.
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Handlungsflexibilität: Aufgaben sollen sich auf mehreren Wegen erledigen lassen. Je nach Erfahrung des Benutzers sollte es unterschiedliche Möglichkeiten anbieten – z.B. einen sehr schnellen Weg für erfahrene Nutzer und einen mit viel Hilfestellung für Neulinge. Auch sollte die Arbeitsweise mit dem System gleich bleiben, wenn sich die Aufgabe ändert.
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Aufgabenangemessenheit: Die Aufgabe muss sich rein technisch mit dem System durchführen lassen. Das sollte schnell und ohne Probleme möglich sein.
DIN EN ISO 9241 – Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten
Die mit Abstand wichtigste Norm für Websites ist die DIN EN ISO 9241. Sie besteht aus 17 Teilen, die, neben einer Einführung, Anforderungen an Tastaturen, Displays, die Arbeitsplatzgestaltung und die Arbeitsumgebung enthalten. Die Teile 10 bis 17 beschäftigen sich mit den für Software- und Website-Entwicklung bedeutendsten Punkten. Sie beschreiben eine benutzerfreundliche Anwendung mit folgenden Eigenschaften:
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Der Aufgabe angemessen: Die Anwendung soll das leisten, was der Benutzer von ihr erwartet. Dabei soll sie ihn unterstützen und schnell zum Ziel führen. Die eingesetzte Technik soll für den Nutzungsfall angemessen sein.
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Selbst beschreibend: Die Anwendung soll dem Benutzer deutlich machen, wie er sein Ziel erreicht. Klare Navigation und verständliche Anweisungen bei jedem Schritt sind dazu Voraussetzung.
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Steuerbar: Der Benutzer soll die Anwendung steuern, nicht umgekehrt. Das heißt, dass Animationen abgebrochen und erneut gestartet werden können, dass es immer einen Weg zurück gibt und dass bei Ton die Lautstärke reguliert werden kann.
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Erwartungskonform: Die Anwendung soll den Benutzer nicht überraschen. Konsistenz innerhalb der Anwendung ist daher Pflicht, aber auch die Berücksichtigung weit verbreiteter Konventionen.
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Fehlertolerant: Das System soll mit falschen Benutzereingaben umgehen können und bei Fehlern klare Rückmeldung geben. Der Korrekturaufwand für den Benutzer soll minimal sein.
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Individualisierbar: Der Benutzer soll die Möglichkeit haben, die Anwendung an sein Vorwissen bzw. an seine Vorlieben anzupassen. Üblicherweise wird das mit „Personalisierbarkeit“ bezeichnet, z.B. indem eine Website die Voreinstellungen bzw. Angaben des Benutzers speichert, sodass er sie beim nächsten Besuch nicht erneut eingeben muss.
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Lernförderlich: Die Anwendung soll den Benutzer dabei unterstützen, den Umgang mit ihr schrittweise zu erlernen.
Die Norm gibt keine konkrete Anleitung, wie die Gebrauchstauglichkeit geprüft werden kann. Deshalb hat die DATech (Deutsche Akkreditierungsstelle Technik e.V.) ein Handbuch dazu erstellt: das „DATech-Prüfhandbuch Gebrauchstauglichkeit – Leitfaden für die software-ergonomische Evaluierung von Software-Erzeugnissen auf der Grundlage von DIN EN ISO 9241, Teile 10 und 11“. Dieses ist jedoch extrem umfangreich und für nicht Geschulte kaum zu verwenden.
DIN 66234 , ISO 14915 und DIN EN ISO 13407
Die DIN 66234 wurde in die gerade beschriebene DIN EN ISO 9241 eingearbeitet und ist daher nicht mehr relevant.
Bei ISO 14915 wird besonders auf die Eigenheiten von Multimedia eingegangen – also etwa auf die Besonderheiten beim Umgang mit Animationen, Film und Ton, was bei den Normen, die sich auf Büro-Software beziehen, naturgemäß nicht vorkommt. Es finden sich Gestaltungsgrundsätze, Rahmenbedingungen und Empfehlungen zur Kombination von Medien, zur Steuerung/Navigation und zur Gestaltung.
Die Norm DIN EN ISO 13407 beschreibt, wie Software entwickelt werden sollte. Kernpunkt dabei ist die Beteiligung der zukünftigen Nutzer. Deren Erwartungen und Ziele müssen von Anfang an berücksichtigt werden, um ein benutzerfreundliches System erstellen zu können. Die Sicherung der Benutzerfreundlichkeit bei der Softwareproduktion wird oft als „Usability-Engineering“ bezeichnet.
Die Entwicklung soll „iterativ“ sein, das heißt, sie soll mehrere Zyklen von Test/Beurteilung und Verbesserung des Systems umfassen. Wie das genau realisiert wird, dazu macht die Norm keine Angaben. Das Vorgehen kann von einer einfachen Befragung weniger potenzieller Benutzer bis zu ausführlichen Usability-Tests mit Prototypen reichen.
ISO/IEC 9126, 7 DIN ISO/IEC 12119, ISO 9000/9001 und Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)/Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV)
Die Norm ISO/IEC 9126 legt Kriterien für die Messung von Softwarequalität fest. Softwarequalität definiert sie als die Eignung, die Aufgaben zu erfüllen, für die sie erstellt wurde. Die Qualitätskriterien sind:
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Funktionalität: Die Anwendung muss technisch die Aufgaben angemessen und richtig erledigen.
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Zuverlässigkeit: Es sollen keine technischen Fehler auftreten, Benutzungsfehler sollen toleriert werden und leicht korrigierbar sein.
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Verwendbarkeit: Das System soll leicht verständlich und erlernbar sein.
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Effizienz: Die Aufgaben sollen angemessen schnell und mit möglichst wenig Verbrauch von Rechenzeit und Speicherplatz durchgeführt werden.
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Pflegbarkeit: Die Anwendung muss gut dokumentiert und im Ablauf leicht nachvollziehbar sein und muss sich problemlos ändern lassen.
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Portierbarkeit: Es soll möglich sein, das System an andere Gegebenheiten anzupassen und es gegebenenfalls auch zu ersetzen.
DIN ISO/IEC 12119 beschreibt Kriterien zur Softwarequalität, die vor allem Produktbeschreibung, Dokumentation und Prüfverfahren betreffen. Sie bezieht sich auf Software, die ausgeliefert bzw. verkauft wird, und ist für Websites weniger wichtig.
Die bekannten Normen ISO 9000 und 9001 für Qualitätsmanagement sind für Software und insbesondere Websites nicht besonders relevant (das meint auch DATech – Deutsche Akkreditierungsstelle Technik e.V.). Sie beschreiben Vorgehensweisen für Organisationen, die durch eine Strukturierung ihrer Arbeitsprozesse die Qualität ihrer Produkte oder Dienstleistungen sicherstellen wollen.
Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV) verpflichten alle Behörden, barrierefreie Anwendungen für Mitarbeiter und Bürger einzusetzen. Dadurch soll Menschen mit Behinderungen der Zugang zu und die Arbeit bei öffentlichen Stellen ermöglicht werden.
Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV)
Die Bildschirmarbeitsverordnung regelt hauptsächlich die Gestaltung eines Bildschirmarbeitsplatzes, weniger die von Anwendungen. Sie soll Arbeitnehmer vor Gesundheitsgefahren bei der Arbeit am Bildschirm schützen.
Allerdings finden sich auch hier Vorgaben für die Usability. Diese entsprechen weitgehend denen der DIN EN ISO 9241. Hinzu kommt allerdings die Vorschrift, dass ohne das Wissen des Benutzers keine Daten erhoben werden dürfen, die zu seiner Kontrolle dienen.
Die Verordnung ist anders als die Normen verpflichtend einzuhalten. Sie betrifft Arbeitgeber, die ihren Angestellten Software zur Verfügung stellen müssen, die diese Anforderungen erfüllt.
Wann Sie Usability besser ignorieren
Es gibt einige wenige Aspekte, bei denen die benutzerfreundlichste Lösung nicht die beste ist. Das liegt einfach an dem, was man erreichen möchte. Sie können sich auch einmal gegen die Usability entscheiden, doch Sie sollten das nur bewusst tun, nicht aus Bequemlichkeit oder Unwissen.
Benutzer wollen nicht die beste Lösung
Eine der wichtigsten Grundannahmen der Usability ist nicht immer richtig: Die Lösung mit der höchsten Usability ist die, die den größten Erfolg haben wird. Denn es spielen immer viele andere Faktoren mit. Dabei geht es nicht nur um das bessere Marketing, das coolere Markenimage oder die niedrigeren Preise, die dazu führen können, dass eine weniger benutzerfreundliche Lösung erfolgreicher ist.
Es geht vielmehr darum, dass in manchen Fällen Benutzer eine Anwendung lieben, gerade weil sie schwierig zu bedienen ist. Wer in einer größeren Firma noch mit dem alten Computersystem umgehen kann, hat oft seinen Kollegen etwas voraus. Sie stehen bewundernd daneben, wenn ein langjähriger Mitarbeiter kryptische Kommandos in eine Tastatur hackt, die an einem monochromen Bildschirm angeschlossen ist, und wenn er die ebenso kryptischen Ergebnisse zu deuten weiß. Wird nun ein neues System eingeführt, das jeder bedienen kann, trifft man nicht selten auf Ablehnung seitens solcher Veteranen.
Vergleichbar ist die Vorliebe von Programmierern für die Kommandozeile: Damit lassen sich in der Tat manche Aktionen sehr schnell durchführen, schneller als es mit grafischen Oberflächen möglich ist. Aber nicht zu vernachlässigen ist, dass dieses Können eine Auszeichnung ist und man sich damit von anderen abheben kann. Ist die Hürde zum Erlernen eines Systems hoch, kann das dazu führen, dass derjenige, der diese Hürde genommen hat, an dem System festhält. Dabei spielt das mit, was Psychologen „Kognitive Dissonanz“ nennen. Vereinfacht gesagt denken wir: „Was mich so viel Mühe gekostet hat, muss gut sein!“
Ein letzter wichtiger Punkt: Den Benutzern gefällt mitunter die weniger gut benutzbare Lösung einfach besser. Andrew Swartz von der britischen Firma Serco Usability Services berichtet beispielsweise von einem Projekt, bei dem die Benutzer die unverständlichen Icons deutlich positiver bewerteten als die eindeutigen Text-Schaltflächen – obwohl ihnen klar war, dass sie schwieriger zu bedienen sind.
Es kann dennoch richtig sein, sich für die benutzerfreundlichere Variante zu entscheiden, weil die Benutzer im täglichen Umgang damit effizienter arbeiten. Diese Entscheidung kann aber auch dazu führen, dass die Benutzer das System nicht akzeptieren und ihre Effizienz im Umgang mit diesem daher deutlich geringer ist. Sie müssen in solchen Fällen abwägen, welche Lösung die größeren Vorteile bietet.
Betreiber wollen nicht die beste Lösung
Aber auch die Betreiber einer Website wollen nicht immer die beste Lösung. Einfachstes Beispiel: Wenn Sie einen Online-Shop haben, möchten Sie vermutlich lieber die teureren Produkte verkaufen. Daher kann es sinnvoll sein, diese bei Suchanfragen an erster Stelle zu platzieren. Dabei bewegen Sie sich aber auf dünnem Eis: Verärgern Sie einen Benutzer, wenn dieses Vorgehen allzu plump wirkt, oder sucht er ein bestimmtes Produkt, das er nicht finden kann, haben Sie einen (potenziellen) Kunden weniger.
Ähnlich ist die Lage, wenn Sie möglichst viele Kundenanfragen über Ihre Website abwickeln wollen. Das ist billiger, als ein großes Call-Center zu bezahlen. Deshalb sind Telefonnummern auf vielen großen Sites so schwer zu finden. Versuchen Sie einmal, die Telefonnummer von Amazon oder Microsoft auf deren Website herauszubekommen.
Aber es gibt auch Websites, die sich von ihrer Konkurrenz absetzen, indem sie als zusätzlichen Service ihre Telefonnummer groß herausstellen und teilweise sogar den kostenlosen Rückruf anbieten.
Wie so oft gilt also auch bei Usability: Sehen Sie sich die Fakten genau an, und entscheiden Sie dann, was in jedem speziellen Fall die Lösung ist, die den größten Erfolg für das Projekt verspricht. Auch wenn das im Einzelfall die weniger benutzerfreundliche Lösung sein mag.
Fazit
Die erwähnten Normen und Richtlinien sind eine Orientierungshilfe für die Konzeption benutzerfreundlicher Websites und anderer Anwendungen. Sie geben sinnvolle Anregungen und sind daher eine lohnende, wenngleich etwas trockene Lektüre. Auch gibt es Fälle, in denen bewusst auf eine ergonomische Lösung verzichtet wird.
Im letzten Teil unserer Serie zur Usability von Webseiten werden die bisher besprochenen Punkte praxisnah angewendet. Dazu werden wir ein echtes Projektbeispiel vorstellen. (ala)
Dieser Beitrag basiert auf Kapitel 7 des Buchs „Website-Konzeption – Erfolgreiche Websites planen und umsetzen“ von Jens Jacobsen. Dieses Standardwerk für Web-Entwickler können Sie hier in unserem Partnerbuchshop Informit.de für 39,95 Euro versandkostenfrei bestellen.
Website-Konzeption Teil 1: Grundlagen von Usability-Tests |
Website-Konzeption Teil 2: Usability-Tests durchführen |
Website-Konzeption Teil 3 Ergänzende Maßnahmen |
Website-Konzeption Teil 4: Ergonomie- und Usability-Normen |
Website-Konzeption Teil 5: Praxisbeispiele |