Im ersten Teil der Artikelserie zu Usability-Tests haben wir die Grundlagen für den Test der Benutzerführung in Webseiten behandelt. In diesem Beitrag geht es jetzt um den konkreten Ablauf eines Usability-Tests und die Auswertung der Ergebnisse. Auch erläutern wir, wo bei der Interpretation der Ergebnisse Vorsicht geboten ist und welche Probleme man mit Usability-Tests nur schwer entdecken kann.
Testvorbereitung
Mindestens einen Tag vor dem Testtermin absolvieren Sie genau den Test, den Ihre Testpersonen machen sollen. Damit finden Sie eventuell technische Probleme mit der Hardware (Bild- und Tonaufzeichnung nicht vergessen) oder auch mit den HTML Seiten oder dem verwendeten Browser. Es ist Zeit- und Geldverschwendung, wenn der erste Tester Ihnen zusehen muss, wie Sie den Computer konfigurieren.
Leeren Sie auch den Cache des Browsers, und löschen Sie den Verlauf (die History), damit die Daten über das Netz übertragen werden und alle Links als unbesucht dargestellt werden. Werden Cookies verwendet, löschen Sie auch diese. All das sollten Sie auch zwischen den Einzeltests tun.
Planen Sie genügend Zeit zwischen den Testpersonen ein. Ein Abstand von mindestens 60 Minuten ist sinnvoll, wenn der Test selbst 45 Minuten dauert.
Dieser Beitrag basiert auf Kapitel 7 des Buchs „Website-Konzeption – Erfolgreiche Websites planen und umsetzen“ von Jens Jacobsen. Dieses Standardwerk für Web-Entwickler können Sie hier in unserem Partnerbuchshop Informit.de für 39,95 Euro versandkostenfrei bestellen.
Website-Konzeption Teil 1: Grundlagen von Usability-Tests |
Website-Konzeption Teil 2: Usability-Tests durchführen |
Website-Konzeption Teil 3 Ergänzende Maßnahmen |
Website-Konzeption Teil 4: Ergonomie- und Usability-Normen |
Website-Konzeption Teil 5: Praxisbeispiele |
Ablauf von Usability-Tests
Zu Beginn des Tests begrüßen Sie die Testperson und erklären ihr, dass es bei dem Test darum geht, Probleme auf der Site zu finden. Sagen Sie, dass Sie sich über alle Probleme freuen, die sie findet, und dass Sie nicht ihre Leistung messen wollen. Verraten Sie möglichst nicht, dass/falls Sie an der Entwicklung der Site beteiligt waren. Dann fällt es den meisten Leuten leichter, die Site zu kritisieren.
Sagen Sie, dass die Sitzung ungefähr 45 Minuten dauern wird. Bezahlen Sie die Testperson. Damit schaffen Sie Vertrauen und machen nochmals deutlich, dass die Bezahlung unabhängig von der Leistung ist.
Wenn Sie die Person selbst filmen und nicht nur den Monitor, weisen Sie sie unbedingt darauf hin. Es empfiehlt sich, Ihre Testperson eine Einverständniserklärung unterschreiben zu lassen. Haben Sie vor, die Aufzeichnung an Ihre Auftraggeber oder andere Externe weiterzugeben, teilen Sie auch das mit. Meist lässt man den Teilnehmer eine Erklärung zum Stillschweigen (NDA – non disclosure agreement) unterzeichnen. Darin wird vereinbart, dass die Person nichts über die getestete Site erzählen darf, bis diese online ist.
Mit ein wenig Smalltalk lockern Sie die Atmosphäre auf. Fragen Sie die Testperson nach ihrem Beruf, und sprechen Sie ein wenig über ihre Erfahrung mit Computern und dem Internet. Das ist für Sie auch interessant, um die Probleme besser beurteilen zu können, die sie finden wird.
Usability-Test durchführen
Bitten Sie die Testperson, sich an den Rechner zu setzen, und setzen Sie sich daneben. Fordern Sie die Person auf, alle ihre Aktionen zu kommentieren und laut zu denken. Am besten führen Sie das selbst vor, z. B. bei einer anderen Website. Sagen Sie ihr, dass jeder Gedanke für Sie interessant ist. Durch vorsichtiges Nachfragen können Sie stille Naturen zum lauten Denken bringen. Fragen Sie die Person zunächst, was sie glaubt, dass das Thema der Website ist, und was sie von der Startseite her erwartet. Fragen Sie, was sie hinter den einzelnen Navigationselementen und Schaltflächen vermutet. Lassen Sie die Testperson dann selbstständig die Site erkunden, oder bitten Sie sie, die Aufgabe zu erledigen, die Sie sich zuvor ausgedacht haben.
Bringen Sie die Testperson dazu, laut zu denken.
Beobachten Sie dabei genau: Wo zögert die Testperson? Macht sie Fehler, weil sie Schaltflächen nicht als solche erkennt oder andere Elemente für Schaltflächen hält? Steuert sie Seiten mit bestimmten Erwartungen an, die nicht erfüllt werden? Wird sie ungeduldig, oder fragt sie direkt nach, was einzelne Dinge bedeuten? (Darauf antworten Sie natürlich nicht. Vertrösten Sie die Testperson höflich auf nach dem Test, wenn sie neugierig ist.) Versuchen Sie immer zu verstehen, was die Person denkt.
Starrt sie längere Zeit schweigend auf den Bildschirm oder sagt sie etwas wie „Hä?“, „cool“ oder „Mist“, fragen Sie, wohin sie sieht oder was sie gerade denkt. Sie sollen nicht in den Test eingreifen, aber lassen Sie die Testperson nicht zu lange vergeblich etwas probieren, wenn sie nicht weiterkommt. Helfen Sie ihr auf die Sprünge, bevor die Frustration so groß wird, dass die Stimmung schlecht wird und den weiteren Test beeinträchtigt. Fast jeder sucht die Schuld erst einmal bei sich, wenn er mit einem Gerät, einer Software oder einer Website nicht zurechtkommt. Versichern Sie der Testperson, dass sie alles richtig gemacht hat und dass ihre Probleme Ihnen helfen, die Site zu verbessern.
Machen Sie sich während des Tests Notizen. Ich bevorzuge Stift und Papier, da das Tastaturklappern viele Tester irritiert. Schreiben Sie gleich im Anschluss alles auf, was Sie beobachtet haben. Nur wenn Sie unsicher sind, sehen Sie sich das Videoband an. Die Aufzeichnung später zu analysieren macht deutlich mehr Arbeit, als gleich ein Protokoll zu schreiben. Außerdem fallen Ihnen vielleicht Dinge auf, die auf dem Band nicht so deutlich sichtbar sind. Notieren Sie für jede Aufgabe der Testperson:
-
Konnte die Aufgabe erfolgreich abgeschlossen werden?
-
Brauchte die Testperson Hilfe?
-
Hatte die Testperson Probleme mit Begriffen, Funktionen oder Abbildungen?
-
Wie lange hat die Aufgabe gedauert?
-
Gab es technische Probleme?
-
weitere Beobachtungen (Anmerkungen oder Wünsche der Testperson, Ausrufe wie „super“ oder „Mist“, Emotionen)
Ende des Tests
Hat die Testperson alle Aufgaben abgeschlossen oder sind die 45 Minuten vorüber, beenden Sie den Test. Fragen Sie nach dem Eindruck von der Site und ob die Erwartungen erfüllt wurden. Bitten Sie um offene Kritik, und fragen Sie, ob die Testperson Verbesserungsvorschläge hat. Manche benutzen dazu auch einen Fragebogen.
Bedanken Sie sich für die Hilfe, und vermitteln Sie der Testperson das Gefühl, dass sie entscheidend dabei geholfen hat, die Site zu verbessern.
Bauen Sie sich eine Kartei mit Testpersonen auf.
Fragen Sie die Testperson, ob sie an weiteren Tests interessiert ist. Bauen Sie sich eine Kartei mit Freiwilligen auf. Notieren Sie aber unbedingt das Datum des letzten Tests, und laden Sie die Person nicht zu oft ein, sonst riskieren Sie, dass sie sich aus der Liste streichen lässt.
Lassen Sie sich nicht frustrieren, wenn die Benutzer große Probleme mit Dingen haben, die Sie für leicht verständlich hielten. Denken Sie daran, dass Sie durch diesen Test die Chance haben, diese Probleme zu lösen und mit einer besseren Site online zu gehen. Wenn eine Testperson besonders viele Schwierigkeiten hat, weil sie sehr ungeübt im Umgang mit Computern oder generell etwas langsam ist, ärgern Sie sich nicht über sie. Meist finden solche Tester mehr Probleme als geübte Benutzer, die gelernt haben, sich an die Unzulänglichkeiten von Maschinen anzupassen und sich durchzumogeln.
Tests auswerten
Fassen Sie die Notizen der Einzeltests zu einem kurzen Bericht zusammen. Je kürzer der Bericht ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass ihn alle Beteiligten lesen.
Wenn Sie genügend Zeit haben und Ihrem Auftraggeber noch beweisen müssen, dass Usability-Tests sinnvoll sind, stellen Sie eine gekürzte Fassung der Videoaufzeichnungen her. Schneiden Sie die markantesten Szenen aller Tests zusammen. Besonders schwere Usability-Fehler oder die (Fehl-)Bedienung von Funktionen, die besonders wichtig sind, eignen sich für das Video. Es sollte nicht länger als fünf Minuten sein, damit es spannend bleibt.
Setzen Sie sich schließlich im Team zusammen, und beraten Sie, wie schwerwiegend die einzelnen Probleme sind und wie viel Arbeit es ist, sie zu beheben. Die Punkte werden nach ihrer Wichtigkeit geordnet und dann in dieser Reihenfolge bearbeitet. Probleme, die den Erfolg der Site generell gefährden, haben höchste Priorität. Bei allen anderen Dingen müssen Sie abwägen, in welchem Verhältnis Aufwand und Nutzen stehen. Schwerwiegende Probleme, die sich schnell beheben lassen, kommen zuerst. Kleine Probleme, die viel Arbeit kosten, bekommen die geringste Priorität.
Fehler beheben
Die Fehler zu finden ist der leichtere Teil. Schwerer ist es, die Fehler zu beheben. Wenn Sie Profis mit der Durchführung eines Usability-Tests beauftragen, bekommen Sie nicht nur einen Bericht über die gefundenen Probleme, sondern auch Empfehlungen, wie sich diese lösen lassen. Hierbei hilft den Experten ihre Erfahrung – ein weiterer Grund, warum sich die Zusammenarbeit mit diesen lohnt. Haben Sie die Tests selbst durchgeführt, müssen Sie selbst nach Lösungen suchen.
Die Lösung für manche Probleme liegt auf der Hand. Bei anderen müssen Sie vielleicht lange suchen. Testen Sie die umgesetzte Lösung frühzeitig, und überprüfen Sie, ob sie auch wirklich funktioniert.
Haben die Testpersonen mit einer Funktion Probleme, liegt das meist nicht daran, dass etwas fehlt, sondern daran, dass andere Dinge ablenken. Finden sie beispielsweise eine Menüleiste nicht, ist es meist sinnvoll, andere Dinge auf der Seite wegzulassen. Die Menüleiste einfach auffälliger zu gestalten ist nur die zweitbeste Lösung.
Ein weiteres häufiges Problem ist, dass die Benutzer nicht verstehen, was sich hinter bestimmten Schaltflächen und Begriffen verbirgt. Sie erwarten etwas anderes, als sie schließlich finden. Auch hier ist es keine gute Idee, eine Erklärung einzufügen oder einen Link „Neu hier?“ zu setzen, der zu einer Hilfe-Seite führt. Versuchen Sie stattdessen, den Begriff und die Schaltfläche so zu ändern, dass sie von den Benutzern sofort verstanden wird. Wenn Sie bei der Suche nach Lösungen nicht weiterkommen, müssen Sie einen Schritt zurück gehen und einen Teil der Konzeptionsphase wiederholen.
Lösen Sie das Problem, und kurieren Sie nicht nur das Symptom.
Grenzen von Usability-Tests
Jeder Test hat seine Grenzen. Natürlich werden nach dem Launch noch Probleme auftauchen, mit denen Sie nicht gerechnet haben. Es gibt viele Gründe, warum die Testsituation dem Alltag möglicherweise nicht ganz entspricht:
-
Die Testperson ist stark motiviert. Sie fühlt sich dem sozialen Druck ausgesetzt, alles richtig zu machen. Daher gibt sie sich mehr Mühe, obwohl sie vielleicht im Alltag schon längst aufgegeben hätte.
-
Die Testperson hat kein direktes Interesse am Inhalt. Selbst wenn sie aus der Zielgruppe kommt, ist nicht gesagt, dass sie die Website von sich aus nutzen würde.
-
Die Testperson hat Hemmungen bei der Kritik, weil sie die Produzenten der Site nicht verletzen möchte.
-
Die Testperson ist nervös, weil sie beobachtet und/oder gefilmt wird.
-
Sie finden nur, wonach Sie suchen. Lassen Sie nur die Bestellfunktion einer Einkaufssite testen, werden Sie keine Probleme bei der Artikelsuche entdecken.
-
In Tests können niemals alle Möglichkeiten durchgespielt werden. Es ist nicht machbar, alle verschiedenen Zielgruppen, alle technischen Konfigurationen und alle Anwendungsmöglichkeiten durchzuspielen. Selbst wenn Sie einen Monat am Stück testen würden, gäbe es noch immer eine Situation, mit der Sie nicht gerechnet haben.
-
Es ist kaum möglich zu testen, wie Benutzer nach mehrmaligem Besuch mit der Site umgehen werden. Das ist besonders bei Sites wichtig, die mit Personalisierungsfunktionen arbeiten. In diesem Bereich können Tests nur eine sehr grobe Annäherung an die Wirklichkeit sein.
Gefahren von Usability-Tests
Da Usability-Tests so ein hervorragendes Werkzeug sind, mit dem sich für jede Site zu jeder Zeit Verbesserungsmöglichkeiten finden lassen, entsteht leicht die Illusion, man könnte die perfekte Site erstellen, wenn man nur lang genug testet. Doch selbst eine Annäherung an den Idealzustand ist kaum möglich.
Der Grund dafür ist, dass jeder Mensch einzigartig ist. Jede Site hat eine inhomogene Benutzergruppe. Bei einem Intranet einer kleineren Firma ist das natürlich nicht so stark sichtbar wie bei einer Einkaufssite für ein allgemeines Publikum. Wenn Sie versuchen, alle Gruppen auf jeder Seite gleichermaßen zufriedenzustellen, werden Sie eine unbenutzbare Site produzieren. Konzentrieren Sie sich auf die wichtigsten Nutzer. Optimieren Sie die Seiten für diese, und sehen Sie für die übrigen Möglichkeiten vor, wie sie dennoch leicht zum Ziel kommen.
Haben Sie etwa eine Banksite für Privatkunden, sprechen Sie auf den vorderen Seiten deren Sprache. Seien Sie ausführlich genug, sodass jeder alles versteht. Für Finanzprofis können Sie einen Link auf der Startseite vorsehen, mit dem diese in einen Bereich gelangen, der auf eine schnellere Bedienung hin ausgerichtet ist. Hier können Sie mehr Fachwörter gebrauchen und auf die Erklärung von immer wiederkehrenden Vorgängen verzichten.
Fazit
In diesem Teil haben wir die Testdurchführung und die Auswertung der Ergebnisse bei Usability-Tests behandelt. Im nächsten Teil gehen wir auf ergänzende Maßnahmen wie etwa Online-Umfragen ein, mit denen man die die Ergebnisse punktuell vertiefen kann. (ala)
Dieser Beitrag basiert auf Kapitel 7 des Buchs „Website-Konzeption – Erfolgreiche Websites planen und umsetzen“ von Jens Jacobsen. Dieses Standardwerk für Web-Entwickler können Sie hier in unserem Partnerbuchshop Informit.de für 39,95 Euro versandkostenfrei bestellen.
Website-Konzeption Teil 1: Grundlagen von Usability-Tests |
Website-Konzeption Teil 2: Usability-Tests durchführen |
Website-Konzeption Teil 3 Ergänzende Maßnahmen |
Website-Konzeption Teil 4: Ergonomie- und Usability-Normen |
Website-Konzeption Teil 5: Praxisbeispiele |