400 GB an neuen Daten an einem Rennwochenende, 150 Sensoren die ständig Daten liefern, 30 Prozent mehr Daten als vor einem Jahr - alleine diese Daten verdeutlichen eindrucksvoll, wie wichtig die IT heute in der Formel 1 ist, wenn ein Team vorne mitfahren will. Hinzu kommt, dass die IT etwa unter Kostenaspekte heute für die Teams unverzichtbar ist. So wurde etwa, um die Reisekosten zu senken, die Team-Stärke an der Rennstrecke auf 60 Leute begrenzt. Die restlichen Ingenieure sitzen nun am jeweiligen Firmensitz und monitoren das Rennen remote am Rechner. Aber auch in Sachen Tests und Setup der Boliden geht nichts mehr ohne Rechenleistung. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an die IT - hinzu kommt ein ständiger Zeitdruck. So musste etwa bei Mercedes AMG Petronas aufgrund der Regeländerungen zur Rennsaison 2014 binnen vier Monaten ein neues Data Center aufgebaut werden. Schließlich liefern die neuen Hybrid-Motoren mit ihren Energierückgewinnungssystemen mehr Daten denn je. So denn auch Matt Harris keinen Job wie andere. Als IT-Direktor beim Formel 1 Weltmeisters 2014 Mercedes AMG Petronas lebt er ständig auf der Überholspur. Während seine Kollegen für ihre Projekte zwei Jahre und mehr Zeit haben, muss Harris schnell fertig sein. Auch 99,9 Prozent Verfügbarkeit, ein Wert mit dem sonst CIOs happy sind, sind für Harris kein Maßstab. Wenn es darauf ankommt, dann muss seine IT 19mal im Jahr an drei Tagen am Wochenende zu hundert Prozent funktionieren - oder alle Räder stehen still.
"Ich habe die gleichen Herausforderungen wie andere CIOs", gibt sich Harris bescheiden, "mit dem Vorteil, dass unsere User technikaffiner sind und man ihnen nicht erklären muss, wie man mit Ctrl+Alt+Del einen Rechner neu bootet." Geschickt umgeht Harris dabei den Umstand, dass er und sein Team im Vergleich zu anderen IT-Abteilungen mit einem deutlich knapperen Zeitplan leben müssen. Zudem ist für das IT-Team vom Mercedes Agile mittlerweile ein Muss. Nur so können Regeländerungen, wie sie etwa 2014 mit der Abkehr von den klassischen V8-Motoren hin zu hybriden V6-Aggregaten mit hybriden Energierückgewinnungssystemen, umgesetzt werden, obwohl sie 30 Prozent mehr an Daten mit sich bringen. Herausforderungen, die für Harris auch bedeuteten, dass er in nicht einmal vier Monaten ein neues Rechenzentrum für 2,5 Millionen Pfund aufbauen und in Betrieb nehmen musste.
Remotes Renn-Management
Aufgrund dieser und anderer Regeländerungen ist die IT für die Formel 1 mittlerweile so wichtig, "dass ohne die IT der Rennwagen in der Garage stehen bleiben würde", erklärt Harris nicht ohne Stolz. Ohne IT-Hilfe hätte sich auch eine andere Regeländerung in der Praxis kaum umsetzen lassen: Um die Kosten für die Teams - etwa bei den Reisen - zu deckeln, reguliert die Formel 1 die Mannschaftsstärke eines Teams mittlerweile auf 60 Leute pro Rennwochenende. Darin sind Mechaniker und Renningenieure für beide Fahrer inbegriffen. Eine Einschränkung, die nur bewältigt werden kann, indem mittlerweile im Strategic Room am Standort der Formel-1-Mercedes-Schmiede im englischen Brackley an den Rennwochenenden Strategen und weitere Ingenieure sitzen, um das Team an der Strecke als Backup zu unterstützen. Sei es auch nur dadurch, dass sie die Fehler der Konkurrenz bis ins Detail analysieren.
Doch der Strategic Room ist auf dem Gelände der Mercedes-Fabrik in Brackley nicht der einzige Raum, an dem sie am Rennwochenende sehnsüchtig auf Daten von der Strecke warten. So fahren sie etwa im Simulatorgebäude, der Rennstall verfügt über 5 Simulatoren, nachts das Rennen mit den aktuellen Setup- und Detaildaten vorab, um eventuell weitere tausendstel Sekunden herauskitzeln zu können. Und nur wenige Meter weiter im eigentlichen Fabrikationsgebäude, wo die Rennboliden zusammengesetzt werden, testen Ingenieure über Nacht vorab auf einem Prüfstand, ob die Hightech-Renner die Geschwindigkeitshatz über die gesamte Renndistanz auch wirklich ohne einen technischen Defekt überstehen.
Big Data an der Rennstrecke
Angesichts des Aufwands, den der Rennstall auf der Suche nach den Sekundenbruchteilen auf der Strecke betreibt, wirkt die Datenanbindung zwischen Rennstrecke und heimatlicher Fabrik fast schon wie aus der Steinzeit der Kommunikationstechnik: Es steht lediglich eine Bandbreite von 30 Mbit/s zur Verfügung. Und diese müssen sich 60 Mitarbeiter sowie die beiden Rennfahrzeuge teilen. In den Boliden selbst generieren über 150 Sensoren Daten, die während der Fahrt per Wimax zur Box übertragen werden. Allerdings handelt es sich hierbei um ein besonderes, für die Formel 1 modifiziertes Wimax, da kommerzielle Systeme zu langsam für das Handover zwischen zwei Access Points waren. "Bis die 300 km/h schnellen Rennwagen am Access Point authentifiziert waren, hatten sie die Funkzelle schon wieder verlassen", erklärt IT-Direktor Harris. Kommt das Fahrzeug dann an die Box, hat das Team wieder 2 GB mehr an Daten. An einem Rennwochenende entstehen so 400 GB an Daten. Noch vor wenigen Jahren, als in der Formel 1 Energierückgewinnungssysteme wie KERS oder ERS noch kein Standard waren, entstanden lediglich 100 GB.
Doch selbst mit 400 GB ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht, wie Harris berichtet. Zu groß sei nämlich der Wunsch, immer mehr Sensoren im Fahrzeug einzusetzen. Allerdings hat Harris dabei mit einem Phänomen zu kämpfen, das so oder ähnlich fast alle Unternehmen betrifft, die sich mit dem Internet of Things (IoT) befassen: "Wir generieren einen Riesenberg an Daten, der per se erst einmal dumm ist." Und damit steht Harris, für den Big Data bereits seit zehn Jahren Realität ist, vor der gleichen Herausforderung wie viele andere CIOs: "Uns fehlen die Verfahren, um diese Datenmengen zu analysieren, von einer Predictive Analysis ganz zu schweigen, die uns zeigt, was am Auto kaputt geht oder zu Bruch gehen könnte." Team-intern werde deshalb über jeden potenziellen neuen Sensor heiß diskutiert, ob sein mehr an Gewicht im Verhältnis zu den gewonnenen Daten und ihrer Analyse stehe, zumal "wir so viele Daten haben, dass diese kein Mensch mehr lesen kann."
Lahme und teure Datenanbindung
Die Analyse der Datenmenge ist aber nur ein Problem, mit dem Harris zu kämpfen hat. Ebenso schwierig ist für ihn der Transport der gewonnenen Daten von der Strecke in die heimische Fabrik. Während hierzulande über den Glasfaserausbau auf der Last Mile diskutiert wird, muss sich Harris weltweit an den Rennstrecken mit ganz anderen Problemen rumschlagen. So musste sich der Rennstall noch vor wenigen Jahren etwa beim Großen Preis von Brasilien mit mehreren ISDN-Leitungen begnügen, die gebündelt eine Transferrate von 256 kbit/s ermöglichten. "Und dafür standen 90.000 Pfund auf unserer Rechnung", klagt der CIO, "die Kosten in Korea waren für ein Wochenende so hoch, dafür hätte ich in Großbritannien für ein Jahr eine Gbit/s-Verbindung bekommen." Und solche Länder gibt es im Rennkalender mehrere, so dass 5 bis 6 der 19 Rennen fast 75 Prozent seines jährlichen Kommunikationsbudgets auffressen. Erschwerend kommt für den IT-Manager hinzu, dass die gängigen ADSL-Angebot aufgrund ihres assymmetrischen Charakters (hoher Download, niederer Upload) für ihn nicht geeignet sind, da das Datenaufkommen bei ihm genau in der Gegenrichtung entsteht.
Windows bremst die Formel 1 aus
Erschwert wird die Situation zusätzlich noch dadurch, dass Harris natürlich ein VPN zum Schutz seiner Daten einsetzen will, was in einem Sport, der um tausendstel Sekunden kämpft, zu einer weiteren unerwünschten Latency führt. Über die Frage, warum er dann nicht eines der bewährten WAN-Optimierungsverfahren einsetzt, kann Harris nur lachen: "Dank der geschwätzigen Protokolle von Windows 7 und Microsoft Office hatten wir zwischen Australien und Brackley eine Latency von 3 Sekunden beim Öffnen einer Datei." Deshalb verwenden Harris und sein Team nun einen eigenen Fileservice, denn normalerweise beträgt die Verzögerung zwischen Australien und England um die 300 Millisekunden.
In einem anderen Punkt kann Harris mittlerweile Entwarnung geben: Das Team muss sich nicht mehr selbst um die Netzanbindung an den Rennstrecken kümmern, sondern verlässt sich auf Tata Communications. Als Official Managed Connnectivity Supplier versorgt das indische Unternehmen den Mercedes-Rennstall an allen 19 Strecken mit einem Netzzugang und übernimmt das Netz-Management. "Tata ist für mich zu einem virtuellen IT-Team geworden", beschreibt Harris die Zusammenarbeit. Dazu sind an jedem Rennwochenende drei Tata-Mitarbeiter für den Support direkt an der Strecke zuständig und 20 weitere arbeiten in Netz-Management-Zentren in den USA und Großbritannien, um eine reibungslose Datenübertragung zu gewährleisten. Diese findet über den globalen Glasfaserring Tatas per MPLS statt. Darüber wie reibungslos das Netzfunktioniert, gibt es in dem Rennstall eine nette Anekdote: An einem Rennwochenende hätte Lewis Hamilton auf einmal seinen persönlichen Renningenieur vermisst und sich darüber mokiert, dass er ihn noch gar nicht persönlich gesehen habe. Als man ihm dann offenbarte, dass der Ingenieur nicht an der Strecke sei und ihm die Anweisungen remote vom Firmensitz in Brackley gegeben habe, weil dessen Frau ein Kind bekommen hatte, habe das der Weltmeister zunächst nicht glauben wollen.
Allerdings ist die Partnerschaft mit Mercedes nicht die einzige Verbindung des Providers zur Formel 1. Als Official Connectivity Provider of Formula 1 liefert das Unternehmen für das Formel-1-Management um Bernie Ecclestone die Netzanbindung und ist zudem Videolieferant und Web-Hoster der Formel 1. Hierzu entstand im englischen Biggin Hill ein eigenes Netzwerk- und Medienzentrum und vor Ort baut das Tata-Team zu jedem Rennwochenende innerhalb von zwei Tagen einen Race-POP auf, der mit Gbit/s-Geschwindigkeit mit dem Tata-Backbone verbunden ist. Dass diese Bandbreiten erforderlich sind, veranschaulicht Mehul Kapadia, Managing Director F1 Business bei Tata an einem Beispiel: "Für ein HDTV-Bild benötigen wir eine Bandbreite von 32 Mbit/s, für das hochauflösende 4k-Fernsehen wie wir es in Singapur getestet haben, sind es dann schon 480 Mbit/s."
Zukunft VDI?
Eine Bildqualität, von der IT-Director Harris derzeit nur träumen kann. Aus Kostengründen beziehen er und sein Team Videobilder von den Rennstrecken nur über Satellitenfernsehen - mit dem Nachteil, dass die Bilder mit 3 Sekunden Verzögerung eintreffen. Ist dennoch einmal eine Videokommunikation in Echtzeit gefragt, behilft man sich mit einem BBM-Video-Chat. Deshalb arbeitet Harris daran, 2015 das Thema Realtime-Video zu adressieren. Dabei will er das Kunststück meistern, HD-Bilder mit 720p zu übertragen und dennoch nur 4 - 5 Mbit/s an Bandbreite zu verbrauchen. Seine Idee: die Videofeeds der einzelnen Kameras zur Übertragung zu einem feed zusammenzufassen und dann am Stammsitz in Brackley wieder zu trennen. Das zweite große Thema, das für ihn 2015 auf der Agenda steht, ist die Einführung einer Virtual Desktop Infrastructure (VDI). Unter Sicherheitsaspekten verspricht er sich eine einfachere Zusammenarbeit mit Partnern, da die Daten im eigenen Rechenzentrum bleiben und die Partner nur remote auf ausgewählte Anwendungen zugreifen. Gleiches überlegt Harris auch für die Rennstrecke. Allerdings würde er hier VDI aus Performance-Gründen einsetzen, da er einen weiteren Anstieg der Datenmenge befürchtet und so eine Übertragung aller Daten in Echtzeit immer schwieriger werde, weshalb Harris neue Wege beschreiten will.