Deutschland verschläft die digitale Revolution
Unternehmen könnten Wettbewerbsvorteile verspielen
Die Kanzlerin gibt die Marschrichtung vor. Deutschland als klassisches Industrieland werde derzeit damit konfrontiert, dass die digitale Welt in die reale Produktion Einzug halte, sagte Angela Merkel kürzlich im Rahmen einer CDU-Veranstaltung zum Thema Netzpolitik. Jetzt gehe es darum, wie schnell sich dieses Zusammenwachsen vollziehe. Diese Frage sei "entscheidend für unsere Zukunft". Allerdings wissen in der Öffentlichkeit derzeit nur wenige Menschen etwas mit dem Thema anzufangen. Laut einer Umfrage des Branchenverbands Bitkom im Vorfeld seines Trendkongresses im November hat nur jeder fünfte Bundesbürger (21 Prozent) schon einmal etwas von Industrie 4.0 gehört. "Das sollte uns aufrütteln", warnte Bitkom-Präsident Dieter Kempf, "stellt doch die Digitalisierung der Industrie eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre dar."
Doch auch die Studie "Industrie 4.0 - eine Standortbestimmung der deutschen Automobil- und Fertigungsindustrie" der Porsche-Tochter Mieschke Hofmann und Partner (MHP), für die im Sommer dieses Jahres knapp 230 Manager aus der deutschen Industrie befragt wurden, hat gezeigt, dass das Thema selbst in Industriekreisen noch nicht vollständig angekommen ist. Insgesamt kannte jeder vierte Befragte den Begriff gar nicht. Die Autoren der Studie gehen zudem davon aus, dass dieser Anteil real noch deutlich höher liegt. Ihrer Einschätzung nach dürfte ein häufiger Grund für die Nicht-Teilnahme an der Studie gewesen sein, dass die angefragten Manager den Themenkomplex Industrie 4.0 schlichtweg nicht kannten.
Was den Bekanntheitsgrad von Industrie 4.0 betrifft, kam die Studie zu dem Ergebnis, dass das Thema in mittelgroßen Unternehmen mit 1000 bis 10.000 Mitarbeitern signifikant bekannter ist als in großen beziehungsweise kleinen Unternehmen. Außerdem wissen mehr Verantwortliche in den Führungsetagen etwas mit dem Begriff anzufangen, auf operativer Ebene schwindet dagegen das Wissen um das Digitalisierungsthema. Doch darin sehen die MHP-Experten kein Problem. Vielmehr sei dies eine "begrüßenswerte Tendenz, da der Wandel zu Industrie 4.0 auf jeden Fall eine Topmanagement-Aufgabe ist".
Mit diesem Wandel ist es jedoch in der Realität noch nicht weit her. Vier von fünf befragten Managern bescheinigen Industrie 4.0 und den damit verbundenen Konzepten zwar eine hohe beziehungsweise sehr hohe Relevanz. In der Praxis spiegelt sich diese Einschätzung indes noch nicht wider. Weniger als die Hälfte der Unternehmen beschäftigt sich derzeit konkret mit der Umsetzung von Industrie 4.0.
Als größtes Hemmnis für die Digitalisierung industrieller Produktions- und Fertigungsprozesse identifiziert die Studie die fehlende Transparenz des wirtschaftlichen Nutzens sowie die Notwendigkeit, Prozesse und Arbeitsorganisation anzupassen, wofür es den Firmen offenbar noch oft an einem Plan fehlt. Weitere Probleme sehen die Verantwortlichen in der fehlenden Standardisierung sowie in neuen, unbekannten Geschäftsfeldern, mit denen man sich in der Digitalisierungs-Ära auseinandersetzen müsse.
Es sind noch viele Hausaufgaben zu erledigen, lautet das Fazit der Studienautoren. Dabei ständen auch Verbände, Forschungsinstitute und die Politik in der Pflicht. Es gehe darum, konkrete, branchenspezifische Referenzbeispiele zu bieten, um das Thema Industrie 4.0 für die Unternehmen greifbarer zu machen. Zudem gelte es zu definieren, welche Schritte notwendig sind, um Industrie-4.0-Szenarien umzusetzen. "Der Bedarf an mit Industrie 4.0 verbundenen Konzepten, Paradigmenwechseln, Technologien und Lösungen ist groß, wenngleich sich der Begriff Industrie 4.0 erst noch stärker etablieren und das dahinterliegende Verständnis wachsen muss", heißt es in der Studie.
- 7-Punkte-Plan für Industrie 4.0
Industrie-4.0-Szenarien lassen sich bereits umsetzen, der Weg dorthin ist aber nicht trivial. Die Berater von Accenture empfehlen bei der Umsetzung von Industrie-4.0-Ideen folgenden Plan - 1. Denken in alle Richtungen:
Am Anfang dürfen ruhig wilde Spekulationen stehen. Unternehmen sollten sich fragen, welche Ser- vices rund um welche Produkte ihren Kunden nutzen könnten – und was den Kunden ihrer - 3. Design und Entwicklung der Plattform angehen:
Auf der technischen Seite ist zu prüfen, welche Plattform das Unternehmen braucht. Entscheider müssen festlegen, ob und welche Zugriffsmöglichkeiten Externe (Entwickler, Zulieferer, Kunden) haben sollen. - 4. Die finanzielle Seite betrachten:
Hier geht es um eine möglichst realistische Betrachtung künftiger neuer Umsätze. Die Kosten des Transformationsprozesses müssen ebenso bedacht werden wie die Gestaltung von Preisen und Margen. - 5. Die neuen Angebote verkaufen:
Unternehmen müssen ihre Partner von den Vorteilen der neuen Angebote überzeugen. Konflikte drohen, wenn man Services online anbietet, die zuvor über einen Vertriebspartner erbracht worden sind. - 6. Rechts- und Datenschutzfragen beachten:
Wer seine haptischen Produkte um digitale Services erweitert, betritt in Rechtsfragen möglicherweise Neuland. Gesetzliche Vorgaben und Datenschutzbestimmungen sind zu beachten. - 7. Den Menschen nicht vergessen:
Wer bisher handfeste Maschinen produziert hat und diese nun um digitale Dienstleistungen erweitert, mutet den Mitarbeitern erhebliche Umstellungen zu.